
Wann ist Faulsein erlaubt?
Wann ist Faulsein erlaubt?
Ein provokanter Titel – denn ich glaube nicht, dass es „Faulheit“ wirklich gibt.
Faulheit ist kein Persönlichkeitsmerkmal, sondern ein Vorwurf.
Genauer betrachtet ist „faul“ ein Begriff aus der Schwarzen Pädagogik. Das ist eine Erziehungsform, die auf Angst, Gehorsam und Bestrafung basiert. Kinder sollten durch Härte und Kontrolle zu „tüchtigen“ Erwachsenen geformt werden – ihre Bedürfnisse galten dabei als störend, Ablenkung vom Ziel: brav zu sein, zu spuren.
Alice Miller, eine Schweizer Psychoanalytikerin, verwendete diesen Begriff in ihrem Buch „Am Anfang war Erziehung“ (1980). Miller analysierte die psychischen Langzeitfolgen dieser Erziehungsmethode – etwa die emotionale Abspaltung, das Schweigen über erlebte Gewalt und die Weitergabe an die nächste Generation.
Spuren – wem eigentlich?
Spuren – wem eigentlich?
„Spuren“ heißt: sich einfügen. Nicht auffallen. Den Weg gehen, der vorgegeben wird – von Eltern, Lehrer*innen, der Gesellschaft.
Die eigenen Impulse, Bedürfnisse, Fragen und Gefühle stören da nur. Sie könnten ja dazu führen, dass etwas in Frage gestellt wird. Dass jemand laut sagt: Stopp, das tut mir nicht gut. Das ist unfair. Ich brauche etwas anderes.
Wer also immerzu angetrieben wird – innerlich oder äußerlich –, kann nicht mehr fühlen. Nicht mehr denken. Nicht innehalten. Nicht zweifeln. Und genau das ist das Ziel der alten Programme: Wer nur funktioniert, stellt nichts in Frage. Der Körper wird übergangen. Die Seele verstummt.

Heute sind wir erwachsen. Wir dürfen neue Wege gehen
Auch wenn die alten Muster sich noch melden – wir müssen ihnen nicht mehr folgen.
Viele von uns haben einen inneren Antreiber, der uns hetzt: Mach weiter. Du darfst dich nicht ausruhen. Erst wenn alles erledigt ist ... Manchmal trägt dieser Antreiber sogar freundliche Masken: Ich habe doch so viele schöne Ideen! Ich will doch nur etwas Sinnvolles tun.
Aber: Der Körper kennt die Wahrheit. Er meldet sich lange, bevor wir es selbst erkennen: mit Schlafproblemen, Erschöpfung, innerer Hektik, Ängsten, Essproblemen, Reizbarkeit.
Wie deutlich muss er noch werden, damit wir ihn ernst nehmen?
Was steckt hinter dem Gefühl faul zu sein?
In der Arbeit mit Frauen, die unter Essstörungen oder Körperschemastörungen leiden, erlebe ich oft: Es geht nicht nur um Leistung. Es geht um Gehorsam. Um ein Sich-Fügen. Um das Bemühen, „richtig“ zu sein.
Und es geht um das Abschalten von Gefühlen, für die es in der Kindheit keinen Raum gab. Den Körper unter Kontrolle halten ist ein Weg, das Spüren abzuschalten. Weil das Spüren zu gefährlich scheint.
Aber genau hier liegt der Schlüssel: Wer beginnt, sich wieder zu spüren, findet Zugang zu sich selbst. Und zu neuer Freiheit.

Woran erkenne ich, dass es Zeit ist für eine Pause?
Ganz einfach: Indem du deinen Körper fragst.
Eine kleine Übung:
Teile ein Blatt in vier Felder. Schreibe darüber:
Energie
Wachheit
Kraft
Zugewandtheit
Nimm dir einen Moment Zeit. Spüre in dich hinein und frage deinen Körper:
Wie viel Energie hast du gerade? Wähle eine Farbe, die passt, und male ein freies Kritzelbild in das erste Feld.
Dann frage:
Wie wach bist du, lieber Körper?
Wie viel Kraft hast du?
Wie gut kannst du jemandem zuhören? Ohne innerlich schon die Antwort zu formulieren? Ohne dich zu langweilen? Ohne abzuschweifen?
Male für jede dieser Fragen ein Kritzelbild – intuitiv, ohne Anspruch.
Wenn dein Körper den Bildern einen Titel geben könnte, wie würde er lauten?
Dann schau dir die Bilder an. Was sagt dir dein Körper? In welchem Zustand ist er? Und was wäre jetzt gut?
Eine Faustregel:
Wenn du auf einer Skala von 0–10 für Energie, Wachheit, Kraft oder Zugewandtheit unter 7 liegst, dann ist es Zeit, langsamer zu werden.
Vielleicht wirklich mal nichts zu tun – auch keine Wäsche aufhängen 😉

Gemalt mit Derwent Inktense Stiften im Skizzenbuch art creation von Talens.
Fazit:
Nichts tun heißt nicht „faul sein“ oder wertlos sein. Es heißt: Batterien aufladen. Raum schaffen. Dem Körper zuhören. Und damit der Seele.
Faulsein gibt es nicht. Es gibt nur den Punkt, an dem der Körper sagt: Genug jetzt.
Wenn wir diesen Punkt hören, ernst nehmen und danach handeln, entstehen Klarheit, Kraft und innere Ruhe – ganz ohne Zwang.
Ich wünsche dir einen genussvollen Sommer im Einklang mit deinem Körper.
Und wenn du heute auf dem Liegestuhl liegst und einfach in den Himmel schaust: Vielleicht ist das gerade das Klügste, was du tun kannst.
Suchst du weitere Anregungen, wie du achtsam mit deinem Körper in Kontakt kommen kannst?
Dann schau dich gern auf meiner Shop-Seite um. Dort findest du ein Seminar und mehrere Bücher mit körperstärkenden Übungen.
Körperfrohe Grüße
Elke Weigel
Diplom-Psychologin, Tanz- und Maltherapeutin
P.S. Mit einem Rechtsklick kannst du dir gerne die Bilder herunterladen und als Ausmalbilder verwenden!


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